Diaspora. Als die Gründer seinerzeit vor einigen Monaten das Projekt freigegeben hatten, war die Reaktion auch innerhalb der sehr aktiven Nutzer eine heftige. Erst allmählich wich der erste Schock und die ersten Beiträge brachten positive Aspekte hinein in die ganze Sache. Die Leute entdeckten, dass dies eben auch eine Chance sein kann, nocheinmal komplett neu zu starten mit Diaspora. Klaro, man startet nicht bei Null und man startet mit einem viel kleinen Budget und es ist generell ungewiss, ob es der (Betreiber)Community gelingen wird, das Projekt neu zu beleben. Ein Neuanfang bietet aber die Chance, auch die grundsätzliche Ausrichtung neu zu definieren. Persönlich bin ich der Meinung, dass man für ein SN oder einen Service eine positive Utopie braucht. Es reicht nicht, irgendwo dagegen zu sein (siehe Dein: ‚Wir müssen Facebook zu Grunde richten ..‘). Man sollte vielmehr eine Idee haben, die man verwirklichen will. Beim neuen Diaspora scheint die Community im Vordergrund zu stehen und auch wiederum die Dezentralität. Allerdings bin ich nicht sicher, ob das Bewusstsein schon weit genug ist, um die Art von Dezentralität zu verwirklichen, von der Du schreibst.

Die dezentrale, digitale Id. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken für Deinen Antwort-Kommentar. Darin erinnerst Du mich daran, was eigentlich die ursprügnliche Idee war von OpenID & Co.. Auch heute noch oder sollte ich sagen, gerade heute ist die Idee, dass man eine digitale ID hat, mit der man sich losgelöst von einzelnen SN’s anmelden kann, und die man bestenfalls selber hostet bzw. bei der man sich aussuchen kann, bei welcher vertrauensvollen Stelle man seine Nutzerdaten hinterlegt, ist frappand einfach und gleichzeitig genial. Aus meiner Sicht, also aus Nutzersicht, gibt es nichts Besseres. Natürlich muss man sich klarmachen, dass Facebook & Co. aus ihrer Sicht betrachtet, kein Interesse daran haben, den Nutzer in die Lage zu versetzen, mündig zu werden und so auch zu handeln. Bleiben dann folgerichtig die Daten nämlich das Eigentum des Nutzers, so entzieht man Facebook, Google(+) & Co. quasi ihre (derzeitige) Geschäftsgrundlage. Zudem glaube ich, dass eine solche ID und die dahinterstehende Technologie unterstützt werden muss von gesellschaftlichen Veränderungen. Namentlich braucht es ein Verbraucherrecht, dass den Nutzer überhaupt in die Lage versetzt, seine Rechte an seinen Daten und seiner ID durchzusetzen. Das ist vielleicht heute noch einer der Hauptgründe, warum eine solche Technologie keine gesellschaftliche Rolle spielt. Weder die Politik noch die Mehrheit der Wähler halten diese Dinge für wichtig. Gleichzeitig gehört es zur täglich gelebten Schizophrenie, dass sich die Leute darüber aufregen (und das sind ja vor allem die Offliner), wenn man Schindluder mit ihren persönlichen Daten treibt (Stichwort: Meine kommunale Meldestelle verkauft ganz legal meine Adressdaten etc.).

‚Deshalb wünsche ich mir eben ein dezentral funktionierendes Netzwerk. Ich will mein Profil bei Google haben und möchte trotzdem die Inhalte auf Facebook, Twitter, StatusNET und vielleicht sogar Diaspora nicht missen.‘ Dir schwebt etwas vor, dass es auf einem anderen Inhaltsfeld so ähnlich schon gibt. Ich denke da an Kommentarverwaltungen wie Disqus o.ä.. Dort lege ich ja einen Account an, schreibe meine Kommentare hier und dort und muss ihnen aber nicht quasi zu Fuß nachjagen, sondern kann dies von einer zentralen Stelle aus managen/verwalten. Ich bekomme mit, wenn mir jemand antwortet, egal wo das ist. Natürlich ist disqus kein Protokoll und es fehlen ihm auch noch andere wichtige Anteile, die ich mir wünschen würde. Unabhängigkeit und Denzentralität sind da ja auch nur teilweise gegeben, zum Beispiel. Disqus ist dezentral, aber es ist eben kein Standard und ich kann auch meine dort geblidete ID nicht mitnehmen zu einem anderen Anbieter, wenn mir nicht mehr gefällt, was die machen. Ganz abseits von dem, was disqus von einem Protokoll unterscheidet, gibt es aber noch eine Ähnlichkeit: die disqus-Idee hat sich, leider, bisher nicht durchgesetzt.

Der Anwendungsfall. Im letzten Absatz Deiner Kommentarantwort antwortest Du auf mein ‚Technik kann Lösungen anbieten‘. Du bemerkst zurecht, dass quasi diese komplette Thematik noch nicht angekommen ist beim Publikum. Ich gehe noch ein wenig weiter: Ich behaupte, es ist noch nicht einmal bei der kleinen Gemeinde der Geeks komplett angekommen. Ich beobachte bei etlichen Themenfeldern und so auch bei diesem, dass Geeks zwar im technischen Gedankengut weit voraus sind manchmal, allerdings hinken sie dafür sehr häufig zurück bei gesellschaftlichem Denken und für eine so große Sache wir eine digitale ID, bzw. ein Profil, brauchen wir Entscheidungskompetenz. Weder der Ottonormalverbraucher hat diese (weil ihm der Geek-Blick fehlt und das Wissen), noch der Geek hat sie komplett (weil ihm oft das Wissen und das Interesse zum Thema ‚Wie wollen wir zusammen leben‘ fehlt.) Beide Gruppen haben noch einen gehörig langen Weg vor sich. Und vielleicht ist das auch das Fazit aus dem Artikel bzw. zu dem Thema. Entwicklungen, wie wir sie hier diskutieren, müssen reifen. Man darf das nicht verwechseln mit dem entwicklen eines Produktes. So simpel ist das alles nicht und deshalb, glaube ich, geht es auch nicht so schnell (auch wenn ein schnellerer Fortschritt absolut wünschenswert wäre). Es braucht das Bewusstsein, dass es sehr sinnhaltig ist, eine solche digitale ID zu haben. Die Menschen müssen begreifen lernen, mit wievielen Dingen das zu tun hat. Und mit ‚die Menschen‘ meine ich die Nutzer genauso wie diejenigen, die einen politischen (und gesetzlichen Rahmen) schaffen müssten, damit man seine Rechte überhaupt wahrnehmen kann. Versteh mich nicht falsch: ich bin kein Freund von ‚der Staat muss das regeln‘. Aber ich glaube schon, dass wir nicht so weitermachen können, wie es bisher läuft, wo man den großen Firmen hoffnungslos ausgeliefert ist, wenn es darum geht, die Rechte an seinen Daten zu schützen. Die ganze Szene muss sich entwickeln. Die Firmen müssen weg aus dem Zeitalter des digitalen Feudalismus und die Nutzer müssen begreifen, dass es gute Lösungen ohne aktive Beteiligung der Leute selber nicht geben kann. In dem Moment, wo wir jemanden etwas tun lassen und Verantwortung aus der Hand geben, weil es bequem ist, entsteht eine große Versuchung für diejenigen, die es für uns bequem machen sollen. Gefragt ist die richtige Balance zwischen Beqeumlichkeit und arbeitmachender Eigenverantwortung, die mich dafür aber frei macht und entscheidungsfähig.